Stundenentwurf

Entwurf für einen Gesprächskreis/literarischen Gottesdienst Zeitbedarf ca. 60 Minuten

Thema „Wo bist Du, Gott?“

Texte und Lieder können in den gewohnten Ablauf als Bausteine eingefügt werden. Wenn man die Gesprächszeit durch ein paar Minuten der Stille ersetzt, kann der Text auch als Predigt verwendet werden. Schön ist auch, wenn die Texte/Bibeltexte von verschiedenen Personen gelesen werden.

Liedvorschläge traditionell: erste Liednummer Ev. Gesangbuch, zweite Liednummer kath. Gotteslob

Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?(381/308) Was Gott tut, das ist wohlgetan (32/294), Aus tiefer Not schrei ich zu dir (299/163), Zieh an die Macht, du Arm des Herrn (377/304), Gleichwie mich mein Vater gesandt hat (260/641 )

Liedvorschläge modern: aus verschiedenen Liederbüchern,

Fear not, for I am with you (Phil Pringle), Herr, weil mich festhält deine starke Hand (Winkel, Purdey), Alle Tränen wird er trocknen (Hella Heizmann), Wer auf Gott vertraut (Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, Hella Heizmann)

Hinführung: Schon im Alten Testament lesen wir über gläubige Menschen, die nach Gottes Willen leben wollen und denen trotzdem unerhörte schlimme Dinge passieren. Josef wurde erst von seinen eigenen Brüdern in die Sklaverei verkauft und musste wegen seiner Ehrlichkeit dann auch noch jahreslang in einem ägyptischen Kerker schmoren. Hiob, den das Schicksal besonders hart trifft, ist sogar in unseren alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen. Hiobsbotschaft – da steckt nichts Gutes dahinter.

Wenn man diese Geschichten liest, könnte man meinen, dass es Zeiten gibt, in denen Gott seine Kinder vergessen hat.

Auch heute geht es Menschen so. Der Roman Erben des Schweigens erzählt von einer Frau, die viel riskiert hat für das kleine jüdische Mädchen Hanna Winterstejn. Sie hat Hanna unter dem Namen Anna als ihr eigenes Kind ausgegeben und damit vor der Deportation ins Konzentrationslager bewahrt. Diese junge Frau heißt Else Frenzel. Else hat den Arm für Hitler nie gehoben. Trotzdem erlebt sie gerade zusammen mit ihren Töchtern Anna und Marie und der Schwiegermutter die Vertreibung aus dem Sudetenland im Sommer 1945.

Buchtext:

Noch in der gleichen Nacht wurden Else, ihre Schwiegermutter und die Kinder zusammen mit anderen Deutschen auf einen LKW geladen und in ein Lager gebracht. Else konnte sich später nicht mehr genau an den Transport und das Lager erinnern. Zu tief saß der erlebte Schrecken. Nach einigen Tagen wurden sie wieder auf die Ladefläche eines Lastwagens gestoßen und über holperige Straßen  Richtung Westen gefahren. Die Männer, die sie begleiteten, gehörten der Revolutionsgarde an. Abgerissene Uniformen, teils blutjunge Gesichter, Gewehre lässig über die Schulter gehängt. Else war aus ihrem Alptraum erwacht und belauschte die Gespräche ihrer Bewacher. Immer wieder ging es darum, dass man die deutschen Nazischweine endlich aus dem Land werfen würde und dann einen freien neuen Tschechoslowakischen Staat aufbauen könnte. Bei einer Pause unterwegs wurde etwas trockenes Brot und Wasser ausgeteilt. Eine deutsche Frau, die wohl schon länger Hunger litt, verlor die Nerven, schmiss dem Gardist das Brot vor die Füße und brüllte: „Ihr Dreckstschechen wollt uns wohl alle verrecken lassen? Dann erschießt uns doch gleich!“ Der Gardist, ein  junger kräftiger Bursche,  packte die Frau wutentbrannt am Hals und würgte sie, alle hielten die Luft an, die Kinder weinten. Else sprang auf und flehte auf Tschechisch: „Bitte, hören Sie auf! Tun Sie ihr nichts. Nicht alle Deutschen waren mit Hitler einverstanden.“ Erstaunt, seine Muttersprache fast akzentfrei aus dem Mund einer Deutschen zu hören, ließ der Gardist los. Die Frau stürzte benommen zu Boden. Nun wandte er sich Else zu, die seinen flackernden  Blick ruhig erwiderte. „Warum bist du dann hier, wenn du eine Antifaschista bist?“ fragte er lauernd, „und warum willst du ihr helfen, obwohl sie uns Tschechen hasst?“ „Weil es meine Christenpflicht ist.“ erwiderte Else. „Christenpflicht? So ein Unsinn. Gott ist tot.“ Der Gardist schüttelte verächtlich den Kopf, trat noch einmal nach der Frau und wandte sich ab.

Die Gefangenen atmeten auf. Sie hatten nicht verstanden, was gesprochen wurde. Nur das Wort „Antifaschista“ hatten alle gehört. Dann war diese Frau wohl eine von den Verrätern, denen sie die Niederlage des Deutschen Reiches und damit auch ihre Situation zu verdanken hatten?! Die lügnerische Propaganda im Rundfunk hatte bis zuletzt ihren Zweck erfüllt.  Niemand sprach mehr mit Else und ihrer Schwiegermutter. Die Gruppe rückte von ihnen ab, als hätten sie eine ansteckende Krankheit. Sie spürten die feindseligen Blicke, die sich in ihre Rücken bohrten.

Nach kurzer Zeit hielt der Transport schon wieder an. Mit einem der Lkws schien etwas nicht in Ordnung zu sein. Inzwischen war es Abend geworden, die Wächter trieben die Deutschen in eine halbverfallene Scheune am Wegrand. Dort drängten sich schließlich etwa 40 Frauen, Kinder und wenige alte Männer auf engstem Raum und verteilten das wenige vorhandene Stroh. Else und die Schwiegermutter mussten sich mit den Kindern nahe dem Eingang auf dem nackten Lehmboden niederlassen. Durch das kaputte Dach über ihnen sah Else die Sterne aufgehen und dachte an Georg. Die Großmutter betete leise mit den Kindern. Else brachte seit Tagen kein Gebet mehr über die Lippen. Wo war Gott in all diesem Chaos? Hatte der Gardist vielleicht Recht? Jahwe, der Gott des Alten Testaments war auch der Gott der Winterstejns gewesen. Warum hatte er sie nach Theresienstadt gebracht? Hatte er sie dort bewahrt? Wo waren seine schützenden Engel, als sie die schwitzenden brutalen Männerkörper ertragen musste? Else war verzweifelt und wütend. Marie und Anna zitterten vor Kälte und Erschöpfung und weinten leise vor sich hin. Else dachte zornig: „Gott, wenn du nicht tot bist, dann hilf wenigstens meinen Kindern.“ Das hätte sie niemals als Gebet bezeichnet. Trotzdem wurde es erhört. In der Dunkelheit erschien plötzlich eine Männergestalt am Eingang. „He, Antifaschista, wo bist du?“ flüsterte sie auf Tschechisch. Else erstarrte. Es war der junge Gardist. „Wo bist du? Ich tu dir nichts.“   „Hier.“, flüsterte Else schließlich  zurück. Der Mann kam näher, legte etwas vor ihr auf den Boden. „Für deine Kinder. Wir sind keine schlechten Menschen.“ Und schon war er wieder in der Dunkelheit verschwunden. Es war eine Decke, eine große wollene Decke. Sie roch nach Pferd und Moder, aber sie war warm.

Natürlich hatten es die anderen im Stall bemerkt. Keiner sprach ein Wort, aber man konnte die Feindseligkeit förmlich in der Luft spüren.  Else hüllte wortlos die Mädchen ein und sank später in einen traumlosen Schlaf.

Nach Sonnenaufgang wurde die Gruppe von lauten Motorgeräuschen geweckt. Einer der Lkws fuhr vor. Die Gardisten ließen die Gruppe antreten. Ältere und Kranke, sowie Frauen mit Kindern, die noch nicht laufen konnten, wurden auf die Ladefläche des Lkw gescheucht. Die anderen würden bis zu Grenze marschieren. Es waren nur noch wenige Kilometer bis nach Bayern.

Zu essen gab es diesmal nichts. Den Durst durften sie unterwegs an einem Dorfbrunnen stillen.

Marie konnte mit ihren drei Jahren das Marschtempo nicht lange mithalten. Else, die Mutter und die Mädchen fielen ans Ende der Kolonne zurück. Schließlich trug Else Marie, obwohl sie selber schon sehr erschöpft war. Der junge Gardist marschierte neben ihnen. „Schade um dich, dass du Deutsche bist. Du hättest mir gefallen.“ sagte er zu ihr. Seine Kameraden, die das hörten, lachten. „He, Jiři, nimm sie dir doch einfach, wenn sie dir gefällt“, schlug ein älterer Tscheche vor. Elses Herz raste vor Angst. „Nicht so!“ Der junge Gardist senkte verlegen den Kopf. „ Milchgesicht!“ höhnten seine Kameraden.

„Danke für die Decke.“ flüsterte Else ihm zu. „Wenn Sie einmal in Not sind, wird Ihnen auch jemand helfen. Was man sät, das erntet man sagt ein Sprichwort.“ „Und warum erntest du dann das hier, wenn du es nicht gesät hast, Antifaschista?“ Das war eine Frage, die Else nicht beantworten konnte.

„Vergiss deine Religion. Das ist nur Opium für das Volk. Leninismus, das ist unsere Zukunft.“ Else ließ den Kopf hängen und marschierte schweigend weiter. „Wo ist eigentlich dein Mann?“, fing der junge Gardist wenig später das Gespräch wieder an. Else schaute kurz auf und seufzte. “Das letzte Mal, als ich von ihm gehört habe, war er in Russland. Bei Charkow. 1942. Er heißt Georg, Jiři, wie Sie.“ „Glaubst du wirklich, dass er zu dir zurückkommt?“ Trotzig reckte Else das Kinn vor und nahm alle ihre Würde zusammen. „Ja, das glaube ich. Die Frage ist nur, wie er mich finden soll.“ „Also, eines ist sicher: Deutsche Kriegsgefangene werden von den Russen nicht in die Tschechoslowakei entlassen, sondern gleich nach Deutschland. Es gibt es einen Vertrag mit unserer Regierung. Vorher müssen sie aber erst einmal Aufbauarbeit in Russland leisten.“ „He Jiři, halt die Klappe!“, rief der grobschlächtige ältere Tscheche. „Das geht die nichts an. Sie ist `ne Deutsche, vergiss das nicht. Wir schaffen das Pack über die Grenze und  Schluss.“

Elses Schwiegermutter hatte die ganze Zeit über geschwiegen, nun ergriff sie mit zitternder Stimme das Wort. „Wenn unsere Unschuld bewiesen ist, dann können wir doch sicher auf unseren Hof zurückkommen?“  Auch sie sprach fließend tschechisch. „Zurückkommen?! Kein Deutscher wird jemals zurückkommen, Frau!“, polterte der alte Gardist. „Alle Deutsche sind schuldig.“

Inzwischen war zwischen ihnen und der anderen Gruppe schon ein größerer Abstand. Auch  Anna konnte kaum noch laufen und jammerte leise vor sich hin. Endlich kamen sie an die bayerische Grenze. Die Gardisten übergaben sie an amerikanische Soldaten, dann noch 300 Meter Marsch durchs Niemandsland und sie waren daheim im Reich. Daheim in der Fremde.

Hinter der Kontrollstelle kam eine Rotkreuzschwester auf die Neuankömmlinge zu und bot Ihnen Tee und etwas zu essen an. Nachdem sie sich gestärkt hatten, wurden ihre Personalien aufgenommen und sie erhielten Aufenthaltsscheine für die amerikanische Besatzungszone. „Ruhen Sie sich erst einmal aus. Hier sind Sie in Sicherheit. Niemand wird Ihnen etwas tun.“ beschwichtigte sie die Krankenschwester. Nun fiel die Anspannung der ganzen Erlebnisse von Else ab. Sie brach in Tränen aus und konnte gar nicht mehr aufhören, zu weinen. Marie und Anna ließen sich anstecken, auch der Schwiegermutter liefen Tränen über die Wangen. „Wir haben alles verloren.“ jammerte sie. „Alles verloren und dabei haben wir niemand etwas getan.“

Gesprächsimpuls oder Minuten der Stille:

Wenn uns Leid geschieht, fragen wir uns oft „Warum? Warum ich? Habe ich es verdient?“ Besonders schlimm ist es, wenn wir wie Else Frenzel schuldlos in eine leidvolle Situation kommen. Wo bist Du, Gott? Hast Du mich vergessen?

Kennen Sie das auch in Ihrem Leben? Wie haben Sie diese Situation erlebt? Was würden Sie einer Freundin, einem Freund raten, der gerade solch eine Situation erlebt?

Zusammenfassung: Die Frage, warum Gott das Leid auf der Welt zulässt, nicht verhindert und vor allem: warum Menschen offensichtlich schuldlos leiden, ist eine der theologischen Grundfragen, an der sich schon viele Gelehrte versucht haben. Vielleicht haben Sie schon einmal den Ausdruck „Theodizee“ gehört. Das ist der theologische Fachbegriff dafür. Es gibt etliche Versuche, diese Fragen zu beantworten, aber keine, die einem Menschen, der gerade im Leid mittendrin steckt wirklich weiterhilft. Vielleicht muss jeder Mensch persönlich seine Antwort von Gott suchen. Vielleicht schenkt Gott keine Erklärung, aber dafür Trost und Hoffnung im Leid und vielleicht wendet er es zu einem späteren Zeitpunkt zu großem Glück und Segen.

Hiob, der sich von Gott und Welt ungerecht behandelt fühlt, wendet sich schließlich auch direkt an Gott: Kap.19 (ab Vers 25)Übersetzung Gute Nachricht:

„Doch nein, ich weiß, dass Gott mein Anwalt lebt! Er spricht das letzte Wort hier auf der Erde. Jetzt, wo die Haut in Fetzen an mir hängt und ich kein Fleisch mehr auf den Knochen habe, jetzt möchte ich ihn sehen mit meinen Augen, ihn selber will ich sehen, keinen Fremden! Mein Herz vergeht in mir vor lauter Sehnsucht.“

Und Gott antwortet Hiob. Er antwortet allerdings nicht mit Erklärungen für Hiobs Situation, sondern stellt Gegenfragen, die Hiob nicht beantworten kann und zeigt ihm damit Beispiele seiner Macht und unergründlichen Weisheit. Kap. 38 Vers 2-4) „Wer bist du, dass du meinen Plan anzweifelst, von Dingen redest, die du nicht verstehst? Nun gut, steh auf und zeige dich als Mann. Ich will dich fragen, gib du mir Bescheid! Wo warst du denn, als ich die Erde machte?“ Kap. 40(29) „Mit mir, dem Mächtigen willst du dich streiten? Willst du mich tadeln oder gibst du auf?“

Hiob erkennt, was Gott ihm zeigen will. Er schämt sich für seine Vorwürfe und antwortet: Kap. 42 (2-6) „Ich weiß jetzt, dass dir nichts unmöglich ist, denn alles, was du planst, führst du auch aus. Du fragst, warum ich deinen Plan anzweifle und rede ohne Wissen und Verstand. In meinem Unverstand habe ich geredet von Dingen, die mein Denken übersteigen. Du hast mich aufgefordert zuzuhören und dann auf deine Fragen zu erwidern. Ich kannte dich ja nur vom Hörensagen, aber jetzt hat mein Auge dich geschaut. Ich schäme mich für alles, was ich sagte. In Staub und Asche nehme ich es zurück.“

Ist Gott nun böse auf Hiob, weil er ihm Vorwürfe gemacht hat? Nein, Gott versteht Hiob zutiefst und nimmt seine Entschuldigung an. Hiob hat keine Antwort auf seine ursprüngliche Frage „Warum ich?“ bekommen. Er hat erkannt, dass es diese Antwort manchmal einfach nicht gibt und es darum geht, sich vertrauensvoll in Gottes Plan zu fügen. Das fällt uns Menschen sehr schwer, denn wir wissen ja immer besser, was gut und richtig für uns wäre. Diese Geschichte kann uns Mut machen, uns ebenso wie Hiob direkt an Gott zu wenden. Klagen Sie, reden Sie sich im Gebet wie Hiob alles von der Seele. Und rechnen Sie mit Antwort. Jesus verspricht uns, dass jedem, der mit ehrlichem Herzen anklopft, aufgetan wird und dass Gott gerne Weisheit gibt demjenigen, der ihn darum bittet. Eine Weisheit, die über das „Warum?“ hinausgeht und Frieden in unserem Herzen schaffen kann, der – wie Paulus sagt – höher als die (menschliche) Vernunft ist.

Bei Hiob geht es gut aus. Am Ende der Geschichte erfahren wir, dass er wieder gesund wurde, reicher als vorher und die letzten Sätze in der Bibel lauten „ Hiob lebte nach seiner Erprobung noch 140 Jahre, so dass er noch seine Enkel und Urenkel sah. Er starb in hohem Alter, gesättigt von einem langen und erfüllten Leben.“

Auch bei Else Frenzel aus dem Buch „Erben des Schweigens“ geht das Leben weiter. Auch Else bekommt von Gott keine Antwort auf das „Warum?“. Manch Schweres wird sie noch erleben, aber auch viel Gutes. Else wird eine neue Heimat finden. Auch sie wird ihre Enkel sehen, aber bis dahin ist es noch ein weiter, spannender Weg im Buch.

Schlussgebet von Franz von Assisi „ O Herr, in deinen Armen bin ich sicher. Wenn du mich hältst, habe ich nichts zu fürchten. Ich weiß nichts von der Zukunft, aber ich vertraue auf dich. Amen“